O'Melley ist jetzt ein Stern

Der Platz für Geschichten, Sorgen und Nöten anderer Vierbeiner, geflügelter Freunden und sonstiger Tiere

O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » Fr 5. Sep 2008, 13:41

Mein geliebter Freund,

als wir uns das erste Mal gesehen haben, warst Du eine kleine Beule unter einem Teppichstück in einem Hasenkäfig, und der Katzenverein nannte Dich „Notfall“. Bis heute weiß ich nicht, worin der Notfall eigentlich bestand, aber meine direkte Nachfrage an Dich per Hand unter den Teppich beantwortetest Du mit fünf blutigen Striemen auf meiner Hand. Aber eines hast Du mir dennoch gesagt, gleich beim ersten Blick „Ich heiße O’Melley“. Einen Vornamen hast Du mir nie verraten, aber ich fand den Namen auch so immer wunderschön.

Linus war schon einige Monate bei mir, schmusig, menschenbezogen, immer da, wild, verspielt und irgendwie doch allein, weil ich ja auch nicht 24 Stunden am Tag da sein konnte. Ich beschloss, Dir einen Platz in unserer Mini-Familie zu geben. Du fandest das gar nicht so prima. Deine erste Tat in meiner Wohnung war das Aufdecken einer Schwachstelle. Zwischen Herd und der Abdeckleiste der Einbauküche war ein winziger Spalt .. Du fandest ihn mit Deinem untrüglichen Gespür für sichere Orte und hocktest dann unter der Einbauküche. Das erste Mal, dass Du „Sicherheitsmängel“ entdecktest, aber nicht das letzte Mal.

Du hast Dich verkrochen, Du warst nur ein Schatten hinter dem Sofa, unter den Schränken, immer weit weit weg. Auf’s Klo bist Du nur gegangen, wenn niemand da war oder alles schlief. Du wurdest schlimm krank, und da ich Dir keine Medikamente geben konnte, Dich nicht einmal anfassen oder einfangen konnte, um Dich zum Tierarzt zu bringen, gab ich Dich nochmal zur Behandlung an den Katzenverein zurück. Mir blutete das Herz, Dich gehen zu sehen, aber ich war auch erleichtert, denn Du warst so schwierig, ich hatte nicht das Gefühl, Dir mit unserem gemeinsamen Leben einen Gefallen zu tun.

Ja, ich gebe es zu. Ich habe damals überlegt, ob ich Dich überhaupt wiederkommen lasse. Ich hatte Angst, Dir nicht gerecht zu werden, ich hatte Angst überfordert zu sein. Aber ich hatte Dir, platt auf dem Bauch vor der Couch liegend (eine Haltung, die ich in den ersten Monaten SEHR oft eingenommen habe) in einem unserer stundenlangen Gespräche bereits versprochen, immer gut auf Dich aufzupassen, Dir ein Heim zu bieten und einen Ort, an dem Du nie wieder hungern, dürsten oder Angst haben musst.

Am 29.01.1995 zogst Du dann genesen wieder bei uns ein. Und brachtest aus der Pflegestelle alles an Ungeziefer mit, was Katz so aufsammeln kann. Flöhe, Milben, Würmer. Ein weiteres halbes Jahr folgte, in dem ich Dich mit meinen Händen malträtieren musste, um Dich zu behandeln. Es war für uns beide die Hölle.

Die Monate vergingen, und Deine Scheu nahm nur sehr zögerlich ab. Manchmal sah ich Dich auf der Fensterbank sitzen, wenn ich daheim vorfuhr. War ich drin, warst Du schon wieder verschwunden. Wie oft habe ich Dich stundenlang gesucht? Du hattest Dein Leben lang die Fähigkeit, einfach mal für ein paar Stunden zu verschwinden, und dann plötzlich wieder aufzutauchen. Ich habe nie herausgefunden, wo Du dann gesteckt hattest.

Es waren bei Gott keine leichten Jahre, unsere ersten, lieber O’Melley. Sie waren geprägt von Vorsicht, Furcht, Hilflosigkeit und Missverständnissen. Ich hatte einen kleinen Gasofen in meiner Wohnung stehen, und dort zwischen Ofen und Wand, in diesem katzenbreiten Streifen, da durfte ich Dich füttern. Aber nur, wenn beide Fluchtwege vorn und hinten offen waren.

Es mag vielleicht nach etwas mehr als einem halben Jahr gewesen sein, dass ich Dich zum ersten Mal schnurren hörte, als ich Dir Dein Futter hinstellte. Ich habe geweint vor Freude.

So ist es immer geblieben, über all die vielen Jahre. Du hast Deine Gunst niemals bereitwillig verschenkt, Du hast sie nur gelegentlich gewährt. Und jeder, der sich Dir nähern durfte, fühlte sich beschenkt und war stolz darauf. Auf Deine unnachahmliche O’Melley-Art hast Du jeden, der in Deiner Nähe war, in Nullkommanix um die schwarze Pfote gewickelt.

Nicht so laut reden, das ängstigt O’Melley, nicht so schnelle und hektische Bewegungen, dann haut er ab! In meinem Leben hat sich 13 Jahre und 8 Monate lang alles nur um Dich und Deine Befindlichkeiten gedreht. Linus, der unkomplizierte Kumpel, ist immer mit allem irgendwie zurecht gekommen, nur um Dich haben wir uns immer alle Sorgen gemacht, wir alle wollten so gern Dein Vertrauen haben und es niemals aus Versehen missbrauchen.

Menschenhände waren Dir immer ein Greuel. Sobald man nach Dir griff, wurdest Du zu der Wildkatze, als die Du geboren warst. Du bekamst 1000 Beine und Pfoten und ebenso viele Krallen. Man sagte mir damals, Du seiest wohl als Jungkatzer mal misshandelt worden. Ich respektierte das, und fasste Dich nur an, wenn Du signalisiertest, dass Du es wünschst. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis Du mir mal bei der Vorbereitung zum Futtern um die Beine gestrichen bist. Einmal Dein seidiges Fell flüchtig über den Rücken streicheln zu dürfen, war mir eine Auszeichnung, über die ich mich tagelang gefreut habe.

Du hast über ein Jahr gebraucht, bis Du das erste Mal gespielt hast! Wie selbstvergessen Du Deinen Ball gejagt hast. Wie glücklich war ich über diesen Anblick, denn er war so ein bisschen "normale Katze“. Wenn Du merktest, dass man Dir zusieht, hast Du Dich schnell geputzt und den peinlichen Moment so überspielt. Ein O’Melley läßt sich nicht einfach so gehen, das gehört sich nicht!

Überhaupt bist Du immer ein bisschen feiner gewesen. Während Bruder Linus das Futter inhaliert, hättest Du am liebsten mit Messer und Gabel gegessen. Bloß kein Futter auf das edele Fell kriegen, und nach jedem noch so kleinen Bissen wurde erstmal ausführliche Fellpflege betrieben. Du bist ein Gourmet gewesen. Während für Linus gutes Futter nur aus Büchsen mit der Aufschrift „Katzenfutter“ kommt, hast Du gern ein gutes Stück vom Tisch erbettelt (auch wenn Du Dich für diesen Niedergang der guten Sitten immer geschämt hast), notfalls auch mal was geklaut. Aber billiger Käse aus der Plastikverpackung sollte es nie sein, das edle Zeug von der Käsetheke, ja, das war Deiner würdig! Du bist immer scheu geblieben, und wolltest mit Menschenhänden nichts zu tun haben. Aber für gutes Essen hast Du diesen Punkt gern mal überwunden.

Während Linus immer schon im Bett lag, wenn ich nur die Tür zum Schlafzimmer abends öffnete, warst Du immer der „Licht-aus-Kater“. Sobald die Lichter gelöscht waren und Ruhe eingekehrt, kamst Du angetapert. Und hast auf der Fensterbank noch die Welt und das Universum erforscht. Dann hast Du Dich irgendwann auch zu uns gelegt. Weit weg von uns, und doch dabei. Irgendwo am Fußende, da habe ich Dich dann gespürt, und ab und zu in den ersten Jahren hast Du dann dort leise vor Dich hingeschnurrt.

War ich krank, lag im Bett, hatte einen meiner schlimmen Migräneanfälle, dann warst Du da. Leise, unauffällig, und doch so präsent. Linus und Du, ihr habt Euch immer abgewechselt als Pflegekater. Einer von Euch hat immer bei mir gelegen, nach 2-3 Stunden habt ihr Euch abgewechselt. Musste ich mich wieder mit meinem Eimer unterhalten, hast Du Dich auch aufgesetzt, Deinen wunderschönen Schwanz um die Pfoten gelegt, das Köpfchen ganz schief und dann hast Du mir voller Mitgefühl zugezwinkert. „Das wird schon wieder!“. Du weißt gar nicht, wieviel Trost mir das in diesen elenden Momenten immer geschenkt hat. Ich war nie allein, ich war immer bewacht, ich habe mich von Euch behütet und beschützt gefühlt. Insbesondere von Dir, auch wenn Du die körperliche Distanz nie richtig aufgegeben hast.

Als das Menschenmännchen in unser Leben kam, hatte ich große Sorge. Er hatte nie zuvor Tiere, wie würde er mit uns zurecht kommen? Und grade mit Dir? Würde er auch ausreichend Rücksicht auf Dich nehmen können? Die Sorge war unbegründet, denn bereits nachdem er nur zwei Stunden bei uns verbracht hatte, ich kurz das Zimmer verließ, fand ich ihn flach ausgestreckt auf dem Boden in gebührendem Abstand vor Dir liegen. Und er säuselte beruhigende Worte in Deine Richtung. „Du schöner schwarzer Kerl, komm ruhig näher, ich tu Dir nichts!“. Eure Leidenschaft für gute Essen und edlen Käse hat Euch vereint. Du befandest ihn schnell für würdig, sich Dir nähern zu dürfen. Du akzeptiertest ihn und hattest einen Strich mehr auf der Liste „Wen ich alles um die Pfote gewickelt habe!“. Er war Dein bester Fang, er hat Dir vom ersten Tag an jeden Wunsch von den tiefgründigen Augen abgelesen.

Als wir von NRW nach Sachsen umzogen vor 7 ½ Jahren, da galt meine größte Sorge Dir. Wie würdest Du Dich in fremder Umgebung fühlen, was würde dieser Umzug auf Dein empfindsames Gemüt für Auswirkungen haben? Linus würde das packen, Linus war immer schon da Zuhause, wo ich war. Aber Du, lieber O’Melley? Wie würdest Du zurecht kommen?

Wir ließen Euch am ersten Tag die Strapazen der langen Reise in einem Zimmer verarbeiten. Als wir die Türe zum Rest der Wohnung öffneten, da warst Du es, der neugierig und forsch die neue Welt erkundete! Linus hat sich noch tagelang ins Hemd gemacht, ist nur geduckt durch die Gegend geschlichen. Du hingegen hast in Deiner typischen O’Melley-Wackeldackelkopf-Manier die Welt erkundet.

Ich werde dieses Bild und diese Haltung nie vergessen. Wenn Du sehr neugierig warst, dann bist Du immer mit spitzem Gesichtchen voran, den Hals ganz langgestreckt, und hast mit vor Neugier hoch und runter ruckelndem Köpfchen eine Situation bewertet. Ein wunderschöner und putziger Anblick.
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » Fr 5. Sep 2008, 13:42

Überhaupt habe ich spätestens da angefangen, Deine Stärke zu bewundern. Ich hatte jahrelang gedacht, Du hättest soviel Angst. Aber nein, es war nie Angst. Du warst vorsichtig und misstrauisch, Du warst scheu und mit sehr vielen Wildkatzeninstinkten gesegnet. Aber ängstlich, das warst Du nie.

Du warst unser Genie, Du warst unser Professor. Neue und unbekannte Dinge oder Situationen mussten erforscht werden. Gründlich, intensiv. Du hast nie einfach so etwas hingenommen, Du wolltest immer wissen, wie, wieso, warum und weshalb. Aus meinem Bücherregal hast Du platte Trivialliteratur unnachgiebig aussortiert. Du hast sie einfach rausgezogen und runtergeschmissen. Schund, weg damit! Während Linus bei Gewittern bibbernd abtauchte, hast Du am Fenster gesessen und dieses Naturereignis bewundert. Ich habe immer behauptet, Du zählst die Sekunden zwischen Blitz und Donner.

Meine Mum hat einmal gesagt, ich habe mit Linus und Dir einen Bauern und einen König. Ja, ich denke, das trifft es. Du warst der König. Der edele Wissende, der kleine Intelektuelle, der Gourmet, der, der immer mehr wusste als wir alle zusammen. Unser Professor, unsere kleine Katzengottheit. Dein Blick schien einem immer bis auf die Seele zu dringen. Du hast uns erkannt, mit allen unseren Schwächen, Dir konnte man nichts vormachen. Nicht Du hast bei uns gelebt. Wir durften mit Dir leben.

Du warst immer gesund. Gott sei Dank. Dich zu behandeln war immer schwierig, weil Du Deine Abneigung gegen greifende Hände bis zum bitteren Ende behalten hast. Vor ein paar Jahren wurdest Du dann krank, sehr krank. Du hast nicht mehr gefressen, Du bist nicht mehr herumgelaufen, Du hattest Fieber und wurdest schwächer und schwächer. Der Tierarzt war ein dummer Fuzzi, der zwar alle möglichen Labortests durchführen ließ, aber außer den Klassikern (Leber und Niere) keine Ideen hatte, die Laborergebnisse zeigten eine Entzündung, aber er fand nicht heraus wo. Er gab Dir ein Antibiotikum, und nach guten 10 Tagen unter erfolgloser Behandlung machte er uns mit dem Gedanken vertraut, Dich vielleicht besser einschläfern zu lassen. Wir waren so entsetzt. Unseren O’Melley gehen lassen? Nicht kampflos! Und eines Tages als ich heimkam, war Dein Liegeplatz voller Blut und Eiter, Du warst verschwunden. Ich suchte Dich mit zitternden Knien, fand Dich unter Omas Ohrenbackensessel. Du hattest einen bösen Biss von Bruder Linus abbgekommen und einen traumhaften Abszess ausgebrütet. Auf Deiner Brust war ein riesiges Loch, aus dem nun endlich alles raussuppte. Wir ließen es nochmals beim Tierarzt spülen, und den Rest hast Du aus eigener Kraft geregelt. Nach nur wenigen Tagen warst Du wieder fit. Wir waren so dankbar dafür.

Der erneute Umzug 2005 in unser Haus hat Dir noch wieder ein bisschen mehr die Vormachtstellung in unserer kleinen Familie gegeben. Wieder warst Du es, der die neue Welt zuerst erkundete! Hier waren Treppen im Haus! Die konnte man rauf und wieder runter rasen! Dein heißgeliebter Klickerball hat mich so manche Nacht geweckt, wenn Du ihn hochkonzentriert die Stufen erst runtergekickt hast, Pong-Pong-Pong, um ihn dann mit geschicktem Pfotenschlag wieder treppaufwärts zu schicken. Du hast das stundenlang betrieben.

Und oh, der Garten! Du hast alles genau im Blick gehabt, Du hast den Garten beaufsichtigt, Du hast mit zuckenden Lefzen die Vögel draußen zugetextet. Niemand hat sich hier seither unbeobachtet bewegt! Du hast jeden Tag Stunden damit zugebracht, von Deiner Fensterbank aus Deine Forschungsarbeiten zu betreiben.

Die Nachbarskatze, Venus, eine schicke schwarz-weiße Kätzin, hat sich in Windeseile in Dich verliebt. Sie hat sich von außen auf die Fensterbank gesetzt, ihr habt beide auf den Hinterbeinen an der Haustüre gestanden, und Eure Pfoten an dem kleinen Glasteil gegeneinander gehalten. Auf der Treppe neben der Trennwand der beiden Häuser habt ihr jeder in seinem Reich gesessen, und Euch Eure Zuneigung durch lautes Rufen bekundet.

Überhaupt warst Du ein begnadeter Opernsänger. So manche Nachtruhe wurde von Deinem Gesang jäh unterbrochen. Du warst immer sehr nachtaktiv, das war Deine Zeit. Wenn alles ruhte und schlief, hast Du die Welt verbessert, sie besungen.

Linus ist irgendwann im Laufe der Jahre Dein Sklave geworden, wie wir alle. Wenn wir irgendwo gelegen haben, bist Du dazu gesprungen, hast Dein Köpfchen auffordernd hingestreckt, und dann durfte er Dich putzen. Du hast mit geschlossenen Augen, schnurrend und sabbernd stillgehalten, stundenlang. Auch meine Hände waren dann willkommen, ich durfte Dich ebenfalls streicheln und verwöhnen. Nur Deinen Bauch und Deine Pfoten, die durfte niemand berühren. Heiliges Land, da durfte niemand dran.

Auch wenn Du spät damit begonnen hast, so war doch Spielen später Deine Leidenschaft. Bälle, Mäuse und Katzenminzekissen hast Du mit einer solchen Intensität bearbeitet. Du brauchtest keine Ermunterung dazu, Du brauchtest niemanden, der sie Dir warf, Du hast sie Dir geholt und dann ging es los. Stundenlang. Ein eingedrückter Ping-Pong-Ball war Dein Liebling, Dein Klickerball. Ich habe Deine Geschicklichkeit immer sehr bewundert. Auch wenn ich Euch Trockenfutter geworfen habe, ihr es fangen musstet, warst Du der größte und schnellste Fänger, der mit unglaublicher Geschicklichkeit die Stücke mit den Vorderpfoten direkt in der Luft gefangen hat. Ein kleiner großer Torhüter.

Auch wenn es für einen Kater, der im Haus gelebt hat, merkwürdig klingt: Du warst ein Naturbursche. Der Garten fand Dein besonderes Interesse, Vögel, Blumen. Du hast stundenlang am geöffneten Fenster gesessen und mit geschlossenen Augen und verzücktem Gesicht die Luft eingeatmet, die Düfte, die Natur. Kein einziger Weihnachtsbaum, in den Du nicht reingekrochen wärst. Erst wenn Du jede einzelne Nadel belesen hattest, ihre Geschichten kanntest, war der Baum vor Dir sicher.

Du hattest eine besondere Sammelleidenschaft. All Deine kleinen Schätze hast Du weggeschleppt und versteckt. In den ersten Jahren habe ich geglaubt, mit Dir habe eine kleine Elster Einzug in unser Leben gehalten. Alles, was glitzerte, hast Du verschleppt. Ich habe unter dem Sofa Löffel gefunden, leere Teelichter, Lippenstifte, Kugelschreiber. Du hast Deine Schätze gehütet und versteckt.

Und, ja, ich sage es so!, Du hast geklaut wie ein Rabe. Hatten wir einen Schöpflöffel im Topf, und den Deckel drauf, so hast Du mit leisen Pfoten und gründlicher Energie auf den Löffel gedrückt, bis der Deckel runtergehebelt war und Du Dich bedienen konntest! Den gedeckten Tisch nur 30 Sekunden aus den Augen gelassen – Du hast es sofort bestraft!

Überhaupt hast Du jede einzelne Schwachstelle sofort erkannt und zu Deinen Gunsten genutzt. Du hast mich erzogen, Du hast mir beigebracht, die Welt mit Deinen Augen zu sehen, und mich entsprechend zu verhalten. Ging es schief, war es meine Schuld, nicht Deine.

Unsere kleine Welt war in Ordnung. Wir drei waren mit dem Männchen eine kleine Einheit, die sich untereinander kannte, verstand und das Leben in vollen Zügen genossen hat. Du hattest unser Vertrauen, wir das Deine. Seit Jahren schon war Deine Panik verschwunden, lediglich wenn Besuch kam, bist Du abgetaucht. Bis Du erkundet hattest, ob das gute oder nicht so gute Menschen waren. Katzenmenschen hast Du sofort erkannt, und den Besuch dann mit Deinem Erscheinen geehrt.

Und ja, Du hattest das drauf. Jeder HAT sich geehrt gefühlt. Neue Katzensitter im Urlaub gaben immer voller stolz an „Wir durften nach ein paar Tagen schon bis auf einen Meter an O’Melley ran!“. Linus, der sich jedem sofort willig an die Beine wirft, war für niemanden eine Erwähnung wert. Wenn aber Herr Professor Dr. Dr. O’Melley seine Gunst verschenkte, dann war das für alle eine große Ehre. Du hattest es raus, Du warst der größte kätzische Manipulator, den die Welt jemals gesehen hat.

Als ihr damals zu mir kamt, habe ich Euch getreu nach den Angaben des Katzenvereins Geburtstage „erfunden“. Linus war demnach am 27.05.1994, Du am 27.06.1994 geboren. Du kamst ja im Januar zu mir, und angeblich warst Du ungefähr 6-8 Monate alt, bereits kastriert. Ich habe das nie hinterfragt. Wenn ich mich heute genau zurückerinnere, bist Du aber gar nicht mehr gewachsen. Und als 6-8 Monate alter Kater hättest Du noch wachsen müssen. Fotos aus der Zeit zu Anfang gibt es leider nicht, weil Du immer schon weg warst, bis das Foto geschossen war. Ich muss also meiner Erinnerung trauen. Wer weiß also schon, wie alt Du wirklich warst?

Wir haben die Geburtstage immer besonders gefeiert. Es gab spezielle Leckereien zu fressen, was halt Euch persönlich am liebsten war. Katzenmilch satt an dem Tag und eine Schubkarre voller guter Wünsche. Am 27.06.2008 haben wir Deinen letzten Geburtstag hier auf Erden mit Dir gefeiert. Unsere Welt war da noch rund und in Ordnung.
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » Fr 5. Sep 2008, 13:43

Am 01.07.2008 sah ich morgens, dass Du auf das Katzenklo gingst, erfolglos drücktest, und das ganze Spiel wieder und wieder. Du hast Dich vor mich hingestellt, mich angesehen und gedrückt. Demonstrativ. „Hier stimmt was nicht, kümmerst Du Dich bitte?“. Ich fuhr Dich mit bibbernden Knien in die Tierklinik.

Du musstest da bleiben, sie legten Dich in Narkose, machten Röntgenbilder, Ultraschall, Bluttests und hängten Dich an den Tropf. Die vorläufige Diagnose lautete Verdacht auf Niereninsuffizienz. Deine Nierenwerte waren nicht gut, aber nach dem Tropf waren sie wieder völlig in Ordnung. Die Röntgenbilder und der Ultraschall besagten, dass alle Organe super aussehen, alle die natürliche Größe und Lage haben. Auch Deine Zähne waren top, nur minimal Zahnstein hatte man entfernt. Für einen 14jährigen Kater waren die Untersuchungsergebnisse hervorragend! Man sagte uns, Du habest vielleicht eine Futtermittelunverträglichkeit, darauf basierend eine Darmentzündung. Du bekamst ein Antibiotikum, ich bekam noch eine Spritze zum selbst nachspritzen mit, und wir durften wieder nach Hause. Keine Spezialdiät notwendig.

Wir witzelten noch, dass auch Dein Cholesterinspiegel zu hoch gewesen war, sei bestimmt Deiner Käseleidenschaft geschuldet. Außerdem hattest Du kurz zuvor von unserem Spinatauflauf geklaut und bitterlichen Durchfall von der Sahnesauce gehabt.

Wir dachten, wir kriegen das schon wieder hin. Und das taten wir leider nicht. Du hast zögerlicher gefressen, und am 16.08.2008 wiederholte sich das Spiel. Wieder ein solcher „Drückanfall“. Wir kamen zu einer anderen Tierärztin, die stellte keine Verstopfung fest, aber prall gefüllte Analdrüsen, die sie entleerte, trotz Deines lautstarken Protestes. Dass Du geknurrt hast wie ein Puma, das hat sie nicht beeindruckt. Mich schon! Sie schaute kurz in Dein Mäulchen, mehr hast Du nicht zugelassen. Aber Deine Zähne waren erst im Juli gemacht worden, Du hattest nur wenig Zahnstein gehabt. Daran konnte es doch nicht liegen! Erneute Diagnose, wahrscheinlich Futtermittelunverträglichkeit. Eine Woche nur Pute oder Hühnchen, um das mal auszutesten. Erneut Antibiotikum, mit einmal nachspritzen daheim.

Wir fuhren leidlich glücklich wieder heim, ich kaufte Hühnchen ein. Du hast Dich auch von mir hier daheim mit nur geringem Protest nachspritzen lassen. Darauf war ich sehr stolz, dass wir das so gut hinbekommen haben.

Du hast Deine Hühnchendiät auch gefressen, anfangs sogar hungrig. Und dann immer weniger. Deine Verdauung klappte nicht, mit jedem Tag, den Du nicht machen konntest, hast Du mehr getrunken. Wir besorgten doch Nierendiätfutter als TroFu, das Du auch geschnurpst hast. Und ich bat unsere Freundin, die Tierheilpraktikerin um Hilfe. Sie stellte einige Mittel zusammen, und oh Wunder, nach wenigen Tagen konntest Du wieder!!!

Aber Du hast immer weniger gefressen. Von Tag zu Tag. Wir haben Dir alles Mögliche angeboten, aber Du hast immer nur erfreut geschnuppert, um dann wieder zu gehen. Ich habe gedacht, ich verliere den Verstand, weil ich jeden Tag und jede Stunde nur immer wieder versucht habe, Futter in Dich zu bekommen.

Jetzt, wo ich es hier niederschreibe, kommt es mir vor wie ein Alptraum. Warum habe ich nicht eher reagiert? Warum habe ich es nicht begriffen?? Warum, O’Melley, oh warum?

Wir wollten Dir den erneuten Stress ersparen, zum Tierarzt zu müssen. Wir dachten, das reguliert sich schon wieder. Erst als Du einen Tag lang gar nichts mehr gefressen hast, erst da fuhren wir am Samstag letzter Woche wieder zur Klinik mit Dir. Und das Ergebnis war so niederschmetternd. Du hattest eine ganz schlimme Zahnfleischentzündung. Hervorgerufen durch die nicht mehr ausreichend arbeitende Niere. Du musstest erneut eine Nacht dableiben, sie hängten Dich wieder an den Tropf, sie nahmen Blut. Die Nierenwerte waren nicht mehr messbar, auch nach dem Tropf nicht.

Du bekamst Kortison gespritzt, in der Hoffnung, das Zahnfleisch erholt sich. Als ich Dich daheim aus dem Körbchen ließ, war Dir die Freude und die Erleichterung anzusehen, wieder daheim zu sein. Ich versprach Dir, dass Du nie wieder fort musst. Du bist auf Deinen Kratzbaum gehüpft, hast Dich neben Deinen Plüschfreund Tristan gesetzt, und mit geschlossenen Augen schnurrend auf ihm rumgetretelt. „Ich bin wieder daheim!“. Ein Bild des Friedens, ich werde es nie vergessen.

Angeblich hattest Du in der Nacht in der Klinik gefressen. Nicht viel, aber etwas. Wir beschlossen, Dich nachts von Linus zu trennen, jeder in einem Teil des Hauses, damit Du Ruhe hast und Dir der große Bruder nicht alles wegfrisst. Das Männchen schlief bei Dir im Nebenzimmer, ich mit Linus im anderen Teil des Hauses. Du hast so lange so laut hinter der geschlossenen Türe gerufen, bis wir Euch mitten in der Nacht doch wieder zusammen gelassen haben. Du rolltest Dich zufrieden schnurrend zu meinen Füßen ein. Du wolltest so gern Normalität. Du wolltest Deine Familie komplett um Dich haben.

Hin und wieder konntest Du noch ein Stückchen Fleisch fressen. Roh und möglichst kühl, wahrscheinlich hat das am Zahnfleisch nicht so weh getan. Denn trotz des Kortisons, das Du Dir auch von mir daheim nochmal willig nachspritzen ließt, wurde es nicht besser. Du wolltest fressen, Du hattest Hunger, aber Du konntest nicht. Und das Dir, dem Gourmet, für den Nahrungsaufnahme immer eine kleine Feier war. Getrunken hast Du, Deine Katzenmilch und Wasser. Und Du wurdest mit jedem Tag weniger.

Die ganze Woche über habe ich mich jeden Morgen nur unter Schmerzen von Dir losreißen können. Und jeden Nachmittag beim Heimkommen bin ich am ganzen Körper zitternd in die Einfahrt eingebogen. Wirst Du noch da sein, wenn ich die Türe öffne?

Und ja, Du warst da. Du hast bis zum Schluss aktiv an unserem Leben teilgenommen. Waren wir unten, kamst Du hinterher, gingen wir rauf, warst Du mit dabei.

O’Melley, ich habe keine Ahnung, wie Du es bewältigt hast, bis zum Schluss noch soviel Kraft zu haben. Dein Fell hat bis zum Ende geglänzt! Dein Ganz war noch immer geschmeidig, erst in den letzten 24 Stunden warst Du wackelig. Du bist noch Mittwochmorgen auf die Spüle gesprungen, hast die leeren Töpfe inspiziert! Bis zum Schluss bist Du sauber gewesen, hast Dich immer noch zum Katzenklo gewackelt, hast Dein Fell noch gepflegt. Du hast jedes Deiner sieben Leben ausgereizt, mein Freund. Ich habe tiefe Bewunderung für Dich empfunden, weil Du so ein Kämpfer warst. Du wolltest nicht sterben!!!

Ich hatte mir Mittwoch freigenommen und war den ganzen Tag bei Dir. Wir haben gemeinsam auf der Couch gelegen, gelegentlich durfte ich Dich streicheln, Du schnurrtest friedlich vor Dich hin. Es war gut, dass ich da war, das hast Du deutlich gesagt.

Plötzlich warst Du weg. Ich war nur zur Toilette gewesen. Ich habe Dich gesucht, ich habe Dich gerufen. Und nach einer panischen Viertelstunde kam mir ein Gedanke ... Als ich die Fußleiste der Einbauküche ab hatte, und Dich dort sitzen sah, ich schwöre, ich habe Dich kichern gehört. Du hast die letzten Tage hier viele Situationen wieder aufleben lassen, die an die Anfänge erinnerten. Als wolltest Du einen Kreis schließen. Inklusive der fünf blutigen Striemen auf meinem Handrücken, die Du mir verpasst hast, als ich einmal zuviel streicheln wollte. Grenzen setzen, Grenzen wahren.

Später hast Du Dich in Deine Kuscheltonne verzogen, und ich dachte schon, ich sehe Dich nie wieder lebendig rauskommen. Die angebotene Flüssignahrung hast Du nicht einmal mehr angeschnuppert. Wieder habe ich ewig flach auf dem Bauch vor der Tonne gelegen, wie damals vor der Couch, um mit Dir zu reden, um mit Dir zu zwinkern.

Als ich Linus unten fütterte, kamst Du auf inzwischen wackeligen Beinen an, und hast oben an der Treppe höchst empört gerufen. „Krieg ich hier nichts mehr?“. Du kriegtest, aber Du konntest ja nicht mehr fressen. Du hast mich angesehen, und zum ersten Mal in der ganzen Zeit habe ich wirkliche Angst in Deinen Augen gesehen. Du hast nicht verstanden, warum es geschieht, aber Du hast gewusst, was kommen wird. Und zum ersten Mal in Deinem langen Leben als kleiner Einzelgänger und völlig autarkes Wesen hast Du mich um meine Gesellschaft gebeten. Du wolltest nicht mehr alleine sein. Du hattest Angst und Du brauchtest uns. Es hat mich sehr gerührt und auf eine verquere Art und Weise geehrt, dass Du nach all den Jahren doch auch mich brauchtest.

Am Mittwochabend haben wir noch lange zusammengesessen. Du auf Deinem Kratzbaum an Tristan gekuschelt, Linus auf der Fensterbank, ich in Omas Ohrenbackensessel. Und dann haben wir uns Geschichten aus unserem gemeinsamen Leben erzählt. All das, was ich hier jetzt niederschreibe, habe ich mit leiser Stimme erzählt. Linus hat zwischendurch immer wieder Äuglein gezwinkert, Du hast die ganze Zeit aufmerksam geschaut, die Öhrchen gedreht, hin und wieder eine Geschichte schmunzelnd korrigiert. Und Du hast geschnurrt. Stundenlang.

Linus und ich haben im Zimmer nebenan geschlafen, Du wolltest uns nur nahe wissen, bliebst aber in Deinem Zimmer. Ich habe nicht wirklich geschlafen, weil ich bei jedem leisen Geräusch nach Dir geschaut habe. Um halb drei oder halb vier hast Du einmal ganz laut gerufen, und als ich aufstand, saßt Du auf Deiner geliebten Fensterbank und hast in die Nacht geschaut. Dort bist Du auch liegen geblieben, hast mir nur zugezwinkert, dass alles in Ordnung ist, ich wieder schlafen gehen kann. Für einen kurzen Moment hast Du noch bei uns gelegen nachts, bist dann aber zurück auf Deine Fensterbank.
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » Fr 5. Sep 2008, 13:43

Wie froh war ich, beim Erwachen zu sehen, dass Du noch bei uns bist. Das Männchen nahm sich einen halben Tag frei und blieb bei Dir, ich fuhr für ein paar Stunden arbeiten. Als wir um 10 Uhr telefonierten, sagte das Männchen mir, dass er es kaum noch ertrage, Dich so leiden zu sehen. Hattest Du am Tag zuvor gelegentlich ein paar Speicheltröpfchen verloren, so waren diese Tröpfen jetzt blutig. Und Du hast geschrien vor Schmerzen.

Ich fuhr heim und blieb bei Dir. Mit schweren Gedanken, mit schwerem Herzen. Ich hatte Dir versprochen, Du musst hier nie wieder weg. Dein ganzes Leben lang hast Du Angst vor Menschenhänden gehabt. Ich wollte Dir so gern ersparen, dass am Ende Dein Alptraum wahr wird, und Du durch Menschenhände den Tod findest. Aber wir haben es nicht mehr ertragen, Dich so leiden zu sehen.

Bis zu diesem 04.09.2008 warst Du aktiv, hast trotz allem Leid noch Freude am Dasein gehabt. Dies war gestern nicht mehr da.

Du hast mir zum Schluss, in den letzten Stunden, die größte Ehre erwiesen, die Du mir geben konntest. Du hast auf meinem Schoß gelegen, ich durfte Dein seidiges schwarzes Fell streicheln, Du hast laut geschnurrt dabei. Anschließend durfte ich Dich sogar auch auf den Arm nehmen, Dich halten und meine Tränen in Dein hübsches Fell weinen. Es war Dein Abschiedsgeschenk für mich, ich weiß es.

Dafür bin ich mit Dir dann noch eine Stunde raus gegangen. Du, der Naturbursche, der jeden Duft immer analysiert hat. Es war dennoch keine reine Freude mehr für Dich, leider. Der Schmerz hat den Genuss überlagert. Aber das war mein Abschiedsgeschenk für Dich.

Du hattest in den letzten zwei Tagen einen Karton zu Deinem Taxi auserkoren, in dem ich Dich rumtragen durfte. So sind wir hier gestern durch jeden Raum, und haben uns verabschiedet. Dein Kumpel Tristan hat Dich noch einmal gestreichelt, Tiggi, die Wärmflasche, die Dir in den letzten Tagen so lieb Wärme gespendet hatte, hat Dich noch einmal angestupst.

Entgegen allem, was ich gewollt habe, allem, was ich jemals für den Tag X geplant hatte, fuhren wir dann mittags in die Klinik. Bis zum Schluss habe ich auf einen bösen Irrtum gehofft, auf einen entzündeten Zahn oder sonstwas. Ich hoffte zu hören „Mensch, das haben wir übersehen, das kriegen wir wieder hin!“.

Die Illusion hielt nicht lange. Die Ärztin untersuchte Dich erneut, stellte das Ausmaß der Katastrophe erneut fest und schüttelte nur mit den Kopf. Wir nickten. Weinend.

Die Ärztin, die Dich schon kannte, staunte mit uns über Deinen trotz allem guten Zustand, insbesondere über Dein Fell. Du hast es Dein Leben lang so fleißig geputzt, Du warst immer so eitel. Ich freue mich, dass es Dir bis zum Schluss erhalten geblieben ist.

Ermutigt dadurch, dass Du Dich problemlos und ohne Protest von mir hattest aus dem Korb heben lassen, ruhig warst, wollte sie dann auch vertraulich werden, und senkte ihre Nase zwischen Deine Ohren. Es ist gemein, weil sie wirklich lieb zu Dir war, aber dass Du sie darauf hin böse in die Hand gebissen hast, fand ich völlig okay. Ich habe fast vierzehn Jahre lang um Deine Gunst gebettelt und sie mir hart erarbeitet. Dies war der letzte O’Melley-Streich auf Erden, und auch wenn es für sie gewiss schmerzhaft war, es mir auch leid tut, mussten das Männchen und ich lachen, als sie uns sprachlos verließ, um die Wunde zu desinfizieren.

Ich habe diese 45 Minuten in der Klinik wie im Nebel wahrgenommen. Sie nahmen Dich mit, um Dir einen letzten Venenkatheter zu legen. Da Du Dir das noch immer nicht gefallen lassen wolltest, haben sie Dir eine leichte Gasnarkose verpasst, die nur wenige Minuten andauerte. Du lagst auf dem Tisch, leicht benebelt, Dein Schwanz zuckte unwillig hin und her und Du brubbeltest leise vor Dich hin. Protest, ich bin mir sicher. Ich saß neben dem Tisch, und hatte meinen Arm um Dich gelegt. Noch bevor Du wieder ganz wach warst, habe ich genickt und sie hat Dir erst eine Narkose gespritzt, und als diese wirkte, die finale Spritze. Du hast Deinen letzten Atemzug in meinem Arm getan, und es war ein tiefer letzter Seufzer.

Nie wieder Angst, O’Melley, nie wieder flüchten müssen, nie wieder Hunger oder Durst haben. Ein schaler Trost für das verlorene Leben.

Wir hatten uns verabschiedet, in der letzten Woche, wieder und wieder. In der Klinik fehlten mir vor Schock die Worte. Ich habe Dir nur ein letztes Mal gesagt, wie sehr ich Dich liebe und Dich um Verzeihung gebeten.

Ich habe mich in den letzten Tagen wieder und wieder bei Dir entschuldigt. Für all die Dinge, die ich aus Unwissenheit falsch gemacht habe, für all die Ungerechtigkeit, die ich Dir sicherlich habe über die Jahre auch angedeihen lassen. Dafür, dass ich Dich schonen wollte, nicht nochmal zum Tierarzt gefahren bin mit Dir, und das doch wahrscheinlich der größte Fehler war, den ich habe machen können. Verzeihe ihn mir, bitte, denn es geschah aus Liebe und falscher Rücksichtnahme; etwas, dass uns Menschen scheinbar häufig geschieht.

Ich hatte Dir zu Anfang versprochen, dass ich immer gut auf Dich aufpassen und alles Unheil von Dir fernhalte werde. Dass ich dieses Versprechen gebrochen habe, tut mir so unendlich weh. Ich konnte Dir nicht helfen, als Du mich wirklich gebraucht hättest.

Auch unsere Vereinbarung, dass Du den Moment Deines Todes selbst bestimmen sollst, habe ich nicht eingehalten. Es wird mich viel Zeit kosten, über diese Verfehlungen hinwegzukommen. Ich bitte Dich, mir zu verzeihen. Ich habe dieses letzte Versprechen aus Liebe gebrochen. Weil ich es nicht mehr ertragen habe, Dich leiden zu sehen und zu hören.

Du hast mich soviel gelehrt, O’Melley. Von Dir habe ich gelernt ohne Nähe zu lieben, mich mit dem Anblick zu bescheiden, ohne anzufassen. Du hast mich gelehrt, dass Liebe bedingungslos sein muss. Du hast mich gelehrt, ein Individuum in all seinen Eigenheiten zu akzeptieren und die gesetzten Grenzen zu respektieren. Du hast mich gelehrt, dass man Vertrauen nicht geschenkt bekommt, es sich aber sehr wohl erarbeiten kann. Du hast mich gelehrt, Geduld zu haben.

Du warst mein Freund, mein Aufpasser, mein Lehrer. Ich bin so dankbar dafür, dass ich Dich an meiner Seite haben durfte. Die 13 Jahre und 8 Monate erscheinen mir viel zu kurz, aber es lag nicht in meiner Macht, das zu ändern, mein geliebter Freund.

Dieses Haus wird nie mehr so sein, wie es das mit Dir war. Auch in dieser Nacht habe ich kaum geschlafen, weil ich immer darauf gewartet habe, Dich tapsen zu hören, wie Du die Treppe herunterhoppelst, auf’s Bett springst, oder Dein Rufen zu hören. „Dein“ Zimmer kann ich nicht betreten, weil der Anblick mir zu schmerzhaft ist. Es wird ein paar Tage dauern. Auch Linus meidet es im Moment noch. War er auch in den letzten Tagen nicht mehr so sehr nah bei Dir, so vermisst auch er Dich. Er hat sich sonst immer gleich hingelegt, wenn wir zu Bett gegangen sind. Jetzt sitzt er stundenlang schweigend mit dem Gesicht zur Türe. Er wartet auf Dich.

Aber unser O’Melley kommt nicht mehr. Nie wieder zusehen, wie Du so geschickt spielst und Leckerlis fängst, nie wieder Deine beruhigende Nähe spüren, wenn es mir nicht so gut geht, nie wieder Dein seidiges Fell streicheln dürfen. Nie wieder Dein Rufen hören, Deinen Opernarien zuhören dürfen. Nie wieder Deinen schönen Namen rufen. Nie wieder Deine tiefes Brummen hören, wenn Du Dich wohlfühlst. Ich kann es nicht begreifen, O’Melley, ich kann es nicht verstehen. Du hast in Deinem ganzen Katerleben niemals irgendwem etwas Böses getan. Ein so schlimmes Ende hattest Du einfach nicht verdient. Ich hätte es Dir so gern erspart.

Es lag nicht in meiner Macht. Und vielleicht war das die letzte Lehre, die Du mir erteilt hast. Zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die sich meinem Willen, meiner Kraft und meiner Macht entziehen. Zu akzeptieren, das wir alle endlich sind. Es wird dauern, bis ich diese letzte Lektion gepackt habe, mein Freund.

Deinen sterblichen Körper, den kleinen geschundenen, haben wir in der Nähe unseres Sitzplatzes im Garten bestattet. Mit Deinem Lieblingskatzenminzekissen, Deinen drei Lieblingsmäusen, einer Leckerlistange und einem Klickerball. Den Original-O’Melley-Klickerball hast Du in Original-O’Melley-Manier so gut versteckt, dass ich ihn trotz intensiver zweitägiger Suche bisher nicht gefunden habe. Irgendwann werde ich ihn finden, und dann über das Versteck lächeln müssen. Er kommt dann auf Dein Grab obendrauf.

Du bist jetzt ein Stern, O’Melley. Du wirst für uns leuchten, Du wirst auf uns achten. Du wirst immer bei uns sein. Wir werden Dich nie vergessen. Und wir werden nie aufhören, uns an die vielen Erlebnisse mit Dir zu erinnern, an die vielen schönen und besonderen Momente mit Dir. Ich werde immer dankbar dafür sein, dass ich diese Jahre mit Dir hatte, ich werde mich immer an Deine Lektionen erinnern. Ein Teil unserer Familie fehlt, und diese Lücke ist nicht zu schließen. Du fehlst uns so sehr.

Wir werden Dich nie vergessen.

Laß Deine Seele fliegen, kleiner Freund. Du bist jetzt ein Stern, O‘Melley.
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Peron » Fr 5. Sep 2008, 23:07

und da fliessen bei mir die Tränen - danke für seine Geschichte, Katja.
Ich denke, der stolze Herr O´Melley sitzt auf seinem Stern neben dem von Gaia. Die beiden haben sich sicher viele Geschichten zu erzählen - mach es gut, kleiner Katzenmann.
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » Sa 6. Sep 2008, 08:18

Danke, Britta.

Ja, er und Gaia gehören irgendwie zusammen. Gaia war im Frühjahr nur die Vorbereitung auf einen noch viel schlimmeren Schmerz.

Ich gräme mich, dass ich ihre Lektion nicht begriffen habe. Denn in der Rückschau muss man sagen, dass O'Melleys Zustand sich abgezeichnet hat. Er hatte seit ungefähr März/April abgenommen, nicht dramatisch auf einen Schlag, aber Stück für Stück, er hat immer langsamer und auch weniger gefressen. Auch sein schon seit Jahren bestehendes Problem, dass er recht häufig gebrochen hat, immer wieder zwischen normaler Verdauung auch mal breiig gemacht hat - alles Vorboten, die wir komplett verpennt haben.

Klar, jetzt hat man sich das Wissen angeeignet und kann im Rückblick sagen "Das hätte man merken können!". Haben wir aber irgendwie nicht. Dass er vom Körperbau Gaia immer irgendwie ähnlicher wurde (diese Magerkeit um die Wirbelsäule herum), das habe ich wohl wahrgenommen. Und trotzdem haben wir nichts getan, haben ihn nicht zum Tierarzt gebracht.

Er wollte das immer nicht, er war immer völlig fertig, wenn er in den Korb musste und zum Tierarzt. Wir haben also letztlich aus Liebe und falscher Rücksicht auf ihn vielleicht den entscheidenden Moment verstreichen lassen, wo wir noch etwas für ihn hätten tun können.

Das grämt mich sehr, und ich werde lernen müssen, damit zu leben, dass ich viele Fehler gemacht habe. Ich hoffe, er verzeiht sie mir.
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Peron » Sa 6. Sep 2008, 23:59

Katja, gräm dich nicht! Ja - vielleich hast du am Ende Fehler gemacht - die hat er dir längst verziehen. Andererseits hast du ihm ein recht langes, schönes Katzenleben ermöglicht, darauf solltest du nun in aller Dankbarkeit zurückblicken, und das wird er auch - auf seinem Stern!
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » So 7. Sep 2008, 21:01

Danke, Britta. Rational hab ich das alles, aber emotional nicht. :(

Ich habe vor lauter Traurigkeit eine ganz wichtige Geschichte vergessen, die sich hier in den letzten zwei Tagen von O'Melley zugetragen hat.

Seine Freundin Venus, die Nachbarsmieze, hat ihn nämlich besucht. Sie durchquert unseren Garten immer, hält sich auch mal eine Weile auf. Aber am Mittwoch und am Donnerstag hat sie viele Stunden lang draußen gelegen. Genau da, wo er sie sehen konnte. Sie hat immer wieder zum Fenster raufgesehen. Sie war ihn nochmal besuchen, sie hat für ihn gewacht, sie hat sich verabschiedet.

Und jetzt geht das Begreifen für Linus los. Ich hatte ihm versprochen, er darf ab heute wieder in das Katzenzimmer. War er die ganzen Tage ruhig und hat nicht gequengelt, so stand er heute früh gleich dort vor der Tür. JETZT!

Der Teppich ist getrocknet, der Geruch von dem Reinigungsmittel über Nacht fast verflogen.

Linus hat jede Ecke abgeschnuppert. Auf den Kratzbaum, alles abschnüffeln. Wieder und wieder ist er rumgelaufen. Er hat sogar unter alle Schränke gesehen. Und der fragende Blick zu mir "WO ist O'Melley?". Sogar die Treppe ist er runter und bis in den Abstellraum. Wo ist mein Bruder?

Er liegt jetzt völlig irritiert neben mir, schaut mich an, schaut ins Zimmer. Er sucht ihn, er vermisst ihn.

Ach Linus, O'Melley kommt nicht mehr. :cry:
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Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon old_mum » Mo 8. Sep 2008, 23:01

OH man Katja, ich bin doch auch soooo unendlich traurig! Ich hab Melle auch schon von Anfang an gekannt. Er sah von Anfang an schon immer so schlau aus, bildschön und so unendlich schüchtern aber besonders liebenswert. Ich hab ihn im laufe der Jahre immer mal wieder erleben dürfen.Aber damals, als du über mehrere Tage auf Ostreise zu deinem wie du sagst "Männchen" warst hab ich Linus und Melle versorgt, und mit ihnen gespielt. Linus war immer schon KUMPEL aber Melle war PROFESSOR. Ein ganz liebenswerter kleiner Mann, wenn er doch nur nicht so schüchtern gewesen wäre. Ich hätte so gerne auch mal mit ihm gespielt, aber dann hat er sich immer zurückgezogen.
Als ich durch dich von seiner Erkrankung erfuhr, war ich schon ganz traurig, denn ich hatte Angst um ihn.Wir waren ja während dieser Zeit immer in Verbindung, und nach deinen Berichten schwankte ich immer zwischen Hoffen und Bangen.Du hast ihm deine ganze Liebe in den letzten Tagen noch einmal spüren lassen, und ich denke er hat es auch als grosse Geborgenheit empfunden.Ihn letztendlich doch zum TA zu bringen und ihn von seinem Todeskampf zu befreien war richtig!
Oh man Melle, ich hab dich auch sehr geliebt und bewundert, du warst wirklich eine ganz aussergewöhnliche Katze, manchmal hab ich gedacht du bist eine zurückgekehrte menschliche Seele.Ich werde dich bei meinem nächsten Besuch sehr vermissen!

Da wo du jetzt bist ,pass auf uns auf
ich liebe dich
old_mum
 

Re: O'Melley ist jetzt ein Stern

Beitragvon Tigo » Mi 10. Sep 2008, 20:16

Danke, Mum. :PP

Ja, ich bin sicher, er passt auf uns auf.

Heute vor einer Woche war er noch da. Es ist immer noch schrecklich leer und ruhig hier ohne ihn. Obwohl er der Ruhige war. Er war aber immer so präsent in seiner Ruhe.
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